Programm Mensch
CreativeCommons
Horst Willenberg
Essen und Bielefeld
* 1954
Künstlerisch tätig seit 1968
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Der Vollständigkeit halber

wird mitgeteilt, dass nicht alle

Informationen vollständig sein können.

  • Menschen machen Programme für Maschinen
  • Maschinen machen Programme für Menschen
  • Programme machen Menschen für Maschinen
  • Menschen machen Maschinen für Programme

Wie ist es möglich, sich vom Computer so schnell vereinnahmt zu fühlen?  Es mutet seltsam an, dass solch ein Apparat, der nichts Lebendiges innehat, Menschen derart abstoßen oder anziehen kann.  Regelrecht ambivalente Haltungen wie Hassliebe gegenüber technischen Erzeugnissen, die selbststeuernde Maschinen sind oder wie solche funktionieren, können wir beobachten.  Was steckt in einem Computer, das dem Lebendigen äußerst nahe steht, auch wenn es eher ein Bruchteil lebendiger Möglichkeiten ist?

Was einen Computer vom klassischen Maschinenbegriff unterscheidet, ist die Vielfalt des Gebrauchs, die durch auswechselbare Programme ermöglicht wird.  Wenn die Rede vom Computer ist, ist meist das Programm gemeint, welches abläuft.  Dies ist keine banale Aussage.  Mit dem Begriff "der Computer" wird Unwissen über "das Programm" umschrieben.  Solches Unwissen ist offensichtlich nicht nur den Laien vorbehalten.  Auch bei Berufsprogrammierern ist wahrnehmbar, dass die Unterscheidung, zwischen dem Computer als Materie und dem Programm als Information, oft genug Regel unterbleibt.  Dies ist das eigentliche Problem: Informationen sind äußerst unterschiedlich darstellbar. Es gibt verschiedene Kategorien der Information.  Der Konflikt mit einer vorgegebenen Informationsstruktur, dem Programm, wird zu einer Auseinandersetzung mit einem Ding, dem Computer.

Ein Unterschied zwischen Menschen und Programmen ist die Art und Weise der "Datenverarbeitung", der jeweilige Umgang mit Informationen.  Der Computer arbeitet nach den Informationen des Betriebssystems, ein Programm, das zwischen Technik, Anwenderprogrammen und Benutzern "vermittelt".  Das Betriebssystem ist ein Algorithmus, d.h. ein Rechenvorgang, der nach einem bestimmten (sich wiederholenden) Schema abläuft. Dieses Vorgehen des Betriebssystems, einem methodischen Rechenverfahren zu folgen, zwingt alle Beteiligten auf eine gemeinsame Linie.  Die Abfolge von Handlungsschritten lässt jeden Schritt nur dann beginnen, wenn der vorhergehende Schritt beendet ist; Verzweigungspunkte lassen immer nur zwischen zwei und nicht mehr Möglichkeiten des weiteren Ablaufs eine Wahl, auch wenn es oft genug anders erscheinen mag.

Sind wir am Kern des Unbehagens angekommen?  Was uns alle "Computerei“, neben der erheblichen Unpersönlichkeit aufzwingt, ist die Bevorzugung der Form vor dem Inhalt.  Die Form ist in diesem Fall der Satzaufbau der Befehle.  Dieser Satzaufbau muss unbedingt eingehalten werden, damit das Betriebssystem den Inhalt des Befehls weiterbearbeitet.  Dieser Formalismus ist geprägt von jenen "zwingenden" Notwendigkeiten, die der Wunsch nach einem "selbststeuernden Apparat" hervorgerufen hat.  Wenn uns etwas nicht ins Konzept passt, passen wir uns an; wir wählen aus unseren Möglichkeiten eine Reaktion aus, die durchaus abwegig sein kann, aber immer ist es eine Assoziationskette (Verknüpfung von Vorstellungen, von denen die eine die andere hervorgerufen hat), die der Entscheidung vorausgeht.  Ein Algorithmus hingegen kann nicht assoziieren, sondern arbeitet die vorgegeben Alternativen ab, ignoriert, was nicht ins Kalkül passt.

Betriebssysteme und Anwenderprogramme sind Algorithmen, Menschen nicht.  Jedoch haben wir Algorithmen entworfen, benutzen sie tagtäglich.  Schon die Benutzung des Einmaleins ist eine algorithmische Funktion.  Die Rechenanweisung 2*2 lösen wir mit den Methoden der Arithmetik, der Lehre von den Bekannten Zahlen. 2 ist gleich 1+1, bzw. 2*(+1). 2*2 ist somit gleich 2*2(+1) oder 2(+1)*2(+1) oder 1+1+1+1. Der Algorithmus für die Multiplikation lautet: die malzunehmende Zahl ist sooft zu sich selbst zu addieren, wie die malnehmende Zahl es anweist.

2 * 3 = 2(+3) = 3 + 3 = (1 + 1 + 1) + (1 + 1 + 1) USW.

Es ist eine rein mathematische Sprache.

Es sind mathematische Regeln, die allein gültig sind, wenn wir an Computern, bzw. ähnlich aufgebauten Maschinen arbeiten, spielen, oder nur am Rande betroffen sind.  Der Unterschied zwischen einem Computerarbeitsplatz und der Handhabung des Einmaleins ist keiner, soweit es die grundsätzlichen Strukturen der Informationsverarbeitung betrifft. Allerdings ist es ein riesiger Unterschied, ob wir etwas berechnen oder berechnet werden!

Der Algorithmus Betriebssystem ermittelt zuerst, ob Maschine, Programm und Benutzeranweisungen in die formale Struktur des Systems passen.  Für uns heißt das: eine von vielen Denkmöglichkeiten für die Dauer des Ablaufs allen anderen Denkformen vorzuziehen.  Einerseits können wir im Prinzip auch, was das Maschinenprogramm kann, andererseits können wir wesentlich mehr, aber die Spielregeln eines Algorithmus schränken jeden unserer Schritte ein.  Anstrengend ist nicht nur, für die Computereingaben alles vorbereiten zu müssen, die Anstrengung besteht weiter darin, alles vom Maschinenprogramm aufbereitet zu bekommen.  Keine Verletzung der Spielregeln wurde je von einem Computer selbstständig beantwortet: in Ordnung, diesmal machen wir es so; sondern: jegliche Rückmeldung besteht einzig aus Ja oder Nein, sodass wir selbst unsere Erwartungen auf ein -es klappt oder es klappt nicht  herunterstutzen!

Wenn wir dann, eventuell über viele Stunden hinweg, den (Computer) Spielregeln zu entkommen suchen, machen wir die Feststellung, wie schwer es ist, mit diesem Ja-Nein-Spiel aufzuhören.

Kompromisse sind immer unbequemer als denn reine Entweder – oder. Dem unterliegen alle, Fachleute insbesondere, denn es häufen sich die Bequemlichkeiten.  Wir dürfen nicht das Sowohl - als auch unseres Gemütes RESTLOS beiseitezulegen, sobald wir am Computer handeln wollen. Wir müssen Fehler, die unsere größere Vielfalt aufzeigen, in Kauf nehmen, anstatt andere Denkmöglichkeiten auch nur vorübergehend ausschließen zu wollen.  Es ist anzunehmen, dass jeder seine persönlichen Fehlerquoten hat.  Es gibt keinen Anlass, Abneigungen, Befürchtungen oder Ängste vor dem Computer geringzuschätzen. Berechnende Menschen gab es natürlich schon vor dem Computer, aber sie werden mit dem Computer nicht weniger, eher schneller mehr - aus Bequemlichkeit.

Zusammenfassend gesagt ist es nicht allein eine Angst vor dem unpersönlichen Programm.  Die Möglichkeit, sich IMMER wie berechnet zu verhalten, lässt sich nicht ausschließen.  Dass "der Computer", soweit wir ihn bedienen wollen, die formalen Spielregeln BRAUCHT, ist unausweichlich.

Was uns erheblich stören sollte ist: Jeder Algorithmus spiegelt einen TEIL unserer Denkmöglichkeiten wieder, als wäre es die EINZIGE Möglichkeit.  Es ist ein obskurer Zerrspiegel, ein wählerisches Brennglas - eben kein Organismus.  Ein Maschinenprogramm, oder jeder andere Algorithmus, ist eine Verhaltensanweisung ohne jede Kompromissfähigkeit.

Bielefeld, Februar 1989