Das Schweigende Universum
Seit Jahrzehnten durchsuchen wir das Weltall nach Anzeichen außerirdischer Intelligenz. Trotz Durchforstens mannigfaltiger Wellenbereiche ist kein entsprechendes Signal nachweisbar. Das Nicht-Ergebnis dieser Bemühungen verwirrt. Einleuchtender erschiene mir eine Flut schlüssiger, aber nicht verständlicher Signale. Das Universum schweigt.
Sind wir die einzigen vernunftbegabten, technokratisch orientierten, kontaktfreudigen Wesen im Raum-Zeit-Fenster unseres Sende-Empfangs-Leistungsspektrums? Jeder unentwirrbare Wellensalat wäre mir angenehmer als diese Funkstille. Angesichts der Vielfalt unseres Planeten soll auf die Möglichkeiten eines ganzen Universums verzichtet werden? Abgesehen von der Platzverschwendung? Wo sind sie, die "Erwachsenen" des Sternenmeeres? 400 Milliarden Sonnen in einer über 10 Milliarden Jahre alten Galaxis. Womit beschäftigen sich jene, die die blutigen Zivilisationsjahre überstanden haben?
Bewusstsein bildet sich aus den Anstößen der Wahrnehmung. Kommunikation ist Resonanz.
- Nicht das Universum schweigt, sondern wir sind taub
- Unsere Definition einer Kontaktaufnahme weicht von der kosmischen Norm ab
- Wir finden keine Entsprechungen, weil wir sie nicht formulieren können
- Wir sind nicht in der Lage, ein Naturgesetz von einer Botschaft zu unterscheiden
- Entweder ist da niemand oder keiner hört uns zu
- Wir sind unverständlich und/oder unverständig
Sind wir fähig und bereit, etwas außerhalb unseres Menschlichen Selbst wahrzunehmen? Die Kommunikation, die wir suchen, setzt voraus, dass es Andere gibt. Damit diese anderen für uns erreichbar sind, müssten sie gewisse Voraussetzungen erfüllen. Sie sollten maximal 30 Lichtjahre entfernt sein. Sie sollten unseren Techno-Kulturstand haben, kennen oder wenigstens willens und fähig sein, ihn zu durchschauen. Vor allem anderen erwarten wir die Information der Art: ES GIBT UNS - IHR SEID NICHT ALLEIN. Diese Voraussetzungen schränken das soziokulturelle Kommunikationsfenster deutlich ein.
Wir pfeifen und horchen in das Schweigen des Universums wie das Kind im nächtlichen Wald. Mit dem Unterschied, dass es dort nicht ständig totenstill ist und der Tag-Nacht-Wechsel eine vergleichende Wahrnehmung ermöglicht. Wir kennen Methoden, unauffällig Muster in chaotischen Anordnungen unterzubringen. Ohne das Wissen um die Methode der Informationsübermittlung der anderen sind wir hilflos, bzw. blind. Die Suche nach gleichartigen Phänomenen, ohne die Scheu, den sechsten Sinn, die Intuition einzusetzen. Intuition liefert uns vielleicht schlüssigeres Material, bzw. weiterführende Ideen. Wir sind gefangen im Diesseits unserer Denkungsart.
Im Rahmen kosmischer Maßstäbe ist das Raumzeitfenster unseres jungen Menschengeschlechts weniger als ein Aufblitzen. Wir sind vor Sekundenbruchteilen auf die kosmische Bühne gestolpert und erwarten Applaus. Wir begehren ernst genommen zu werden. Kommunizieren setzt Kooperieren voraus. Wir beuten unsere Kosmische Nische, die Erde, rücksichtslos aus. Eine Regeneration ist bald nur noch bei Verlust unserer Wesensart möglich. Welche Vernunft sollte mit uns kooperieren? Haben wir keine Einsicht, können wir auch keine zeigen - so einfach ist das. Wir zielen mit dem Hader am Kosmischen Schweigen auf unseren Entdeckerstolz - die Pionierarbeit, vernünftige Absichten zu verlautbaren, müssten wir erst noch leisten.
Isolation kann Vielfalt fördern. Planetenzivilisationen sind in ihren Raumzeitfenstern weit genug gestreut, meist fern von äußeren Einflüssen eine wettbewerbsfähige Altersreife zu erlangen. Die Evolution hat weder Absichten noch Ziele. Zugrunde liegend ist das Fortdauern - dem ein Kältetod krass entgegenstände. Wir streiten uns, ob die Evolution Gemachtes oder Machendes sei. Wir wissen, aber realisieren nicht, dass sie Form wie Inhalt zugleich ist. Wir wagen nicht, die ziellose Blindheit der Evolution, diese zügellose Vielfalt, in uns wieder zu finden. Wir steigern uns in Modelle der Einzigartigkeit oder der Belanglosigkeit, stellen sie in einen universellen Rahmen, der von Auserwählten bis zur Nichtigkeit reicht. Das Schweigen des Universums: wenig informativ, weil sehr wahrscheinlich oder hochinformativ, weil sehr unwahrscheinlich? Das Schweigen des Universums ist das gemeinsame Medium, die gemeinsame Sprache und gemeinsamer Begriffsinhalt jener Kulturen, die das Schweigen erkennen.
Uns, die wir mit unserem Getöse und Geschrei taub für alles geworden sind, was unsere Maßstäbe ähnlich erschüttern könnte wie das erste Rad, fehlt die Sensibilität. Gegenüber der Ungeheuerlichkeit eines sich in alle Richtungen ausschweigenden, bewusstlos scheinenden Kosmos, ist unsere eigene Sprachlosigkeit das Modell für ein sprachlos anmutendes All.
Der Kosmos hält nicht stille. Die als Minimum gesuchte, wenn auch derzeit für uns nicht entschlüsselbare Nachricht aus dem Sternenraum wird unentwegt empfangen und sie lautet:
Das Schweigende Universum
(Bielefeld, 1986 / 2011 / 2020)
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