Roland organisiert sich
„Sie werden in 2 Minuten die Pünktlichkeitsgrenze überschreiten.“ „Inzwischen schätzt mein iMem jede Mitteilung dringend ein. Es weiß via Satellitendaten nicht nur, wann ein Termin ansteht, sondern an welchen Koordinaten, hat Kenntnis wo ich bin und in welcher Richtung mit welcher Geschwindigkeit und welchem Verkehrsmittel unterwegs. Es lotet die dementsprechenden Wege und Verbindungen aus, berücksichtigt meine finanziellen und sonstigen Möglichkeiten – um mir Bescheid zu geben, wann genau ich nicht mehr pünktlich sein…können…werde. Eine großartige Sache.
Nur… ohne die „Wahrscheinlichkeiten“-Option wäre es doch… in Ordnung, von vorne also. Trotz ihrer Umständlichkeit sprach mich die Werbung direkt an: Was nützen Terminkalender, wenn man 3 Stück davon an fünf Orten sorgfältig führen muss? Und dann erreicht man den Terminort dennoch verspätet, weil eine Viertelstunde vorher benachrichtigt zu werden nicht hilft, wenn man unvermuteter Weise 15 Minuten vorher gute 30 Minuten weit vom Treffpunkt weg ist. DAS Problem kenne ich, sagte ich Sekunden später dem Verkäufer und bat um seinen Lösungsvorschlag. So lernte ich das iMem 2.0 kennen. (Später erfuhr ich, ein Modell 1.0 hat es nie gegeben, weil die Werbepsychologen den Auftrag hatten, ein ausgereiftes Modell anzubieten). Natürlich kann es auch im Internet surfen und Telefonie, Musik und Videos abspielen, kleine Spiele, GPS, WLAN, UMTS sowie Dutzende denkbarer Kombinationen des Alphabets.
Den Preis war das schicke Design wert, ein wirklich gutes Design. Der Verkäufer brachte eine Schachtel, die mir sehr groß erschien und holte ein dickes Buch hervor. Diese „Betriebsanleitung“ entpuppte sich allerdings als das dazugehörige Vertragswerk. Ich begriff, dass das iMem nur mit uneingeschränktem Zugriff auf meine Daten ordentlich funktionieren kann. Die iMem-Produzenten hatten vorgesorgt. Ich brauchte nur zu jeder Zusatzoption die entsprechenden Vollmachten unterschreiben. Alles Weitere wurde fast wie von selbst eingerichtet. Ach ja, habe ich die Wahrscheinlichkeits-Option schon… Ja, gut, also die brauchte eine Menge Vollmachten, sogar eine von mir an mich selbst, hahaha. Dafür wurde mir zugesichert, dass mein Bewegungsverhalten binnen eines Jahres zu 99 % hochgerechnet werden könne. Natürlich bedingt das eine riesige Menge Datenerhebungen und langfristige Speicherung beim Anbieter.
Das Gerät kann nicht ausgeschaltet und nur gewaltsam vom Handgelenk abgelegt werden. Versuche der Entfernung ziehen effiziente Stromschläge nach sich. Das stand leider nur im Kleingedruckten, wie auch, dass die Wahrscheinlichkeits-Option beinhaltet, alle bekannten Termine und Aufgaben zu suchen und ohne Möglichkeit des Ignorierens zu melden. Das kann peinlich werden, wie jene Situation, in der eine anmutige Frauenstimme jeden gefundenen Computervirus im durchsuchten Email-Fach mit dem „leisen“ Aufschrei begrüßt: „Ja was haben wir denn da? Das muss aber wieder weg.“, ungeachtet dessen, dass ich mich auf dem Bahnhofsklo erleichterte. Oder die Kollegen, die den ganzen Tag meine ihnen von meinem iMem aufgezählten Familientermine kommentieren. Das Gerät lässt sich nicht nur nicht entfernen, sondern hört ständig hin, ob ich Aufgaben, Termine oder sonst was formuliere, im Zweifelsfall als täglich wiederholbares Ereignis. Was soll ich bloß tun?“
„Vor allem nicht so übertreiben, wenn Du Hilfe brauchst!“, sagte Sabine, während sie auf einem Zettel kritzelte. Ich nahm den Zettel, den Sabine mir nun stumm hinhielt.
Darauf stand ‚Sage hier und jetzt laut und deutlich‘:
„Ohne Rückfragen alle Aufgaben und Termine löschen und iMem sofort abschalten!“ KLICK…
|