Roland zeigt Zähne
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Horst Willenberg
Essen und Bielefeld
* 1954
Künstlerisch tätig seit 1968
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Roland zeigt Zähne

 

„Als mir die Erste begegnete erschrak ich. Sie blaffte neben mir los, der Verkaufsraum sei ohne jede Wärme und bald wäre sie daheim. Nach draußen gehend kehrte sie mir die andere Körperhälfte zu und ich sah das kleine, mattschwarze, blaublinkende Hör- und Sprechgerät, auch Bluetooth-Headset genannt.

 

Die Idee, die Hände beim Telefonieren frei zu haben und die fortschreitende Miniaturisierung gaben dem Qualitätsmerkmal ‘Knopf im Ohr’ der Steiff (Plüsch) Tiere eine neue Bedeutung. Tage später in der Straßenbahn glaubte ich mich gewappnet, als der Mann neben mir völlig entnervt losschimpfte, Drohungen ausstieß und dermaßen gestikulierte, dass er mich andauernd stieß. 10 Minuten später, nachdem ich von seinem Fuß heruntergegangen war und die Versuche das Missverständnis aufzuklären aufgegeben hatte, fragte ich mich, woran ich die Lage hätte erkennen sollen. Und frag mich keiner, wie es mir mit jener Person erging, die dann tatsächlich nur vor sich hinplapperte. Das alles war sehr interessant und schien mir eine einfache Methode der Stressbewältigung und Aufarbeitung.

 

Die Ausgabe für das Headset war minimal und mein Ohr blieb unbelastet in Anbetracht der von mir eingehaltenen Funkstille. Aber nun konnte ich meinen Unmut in großen wie in kleinen Dingen einfach so vom Stapel lassen. Erboste Blicke von Passanten, Nachbarn, Kollegen und anderen ließen sich mit dem Fingerzeig auf den Knopf im Ohr in die Diskussionsunfähigkeit verdammen. Immer mehr wurde es mir zu Eigen, früher nie angeschnittene Themen so auszusprechen, dass jeder wissen musste, was gemeint ist, aber keiner beweisen konnte, von mir angesprochen zu werden. Mehr und mehr wurde es mir zur zweiten Haut, nichts unausgesprochen zu lassen. Ich lebte in einer Sphäre aufrichtiger Lebensweisheit. Natürlich gab es Unbelehrbare und Zweifler. Wirklich störend waren nur die Neider, die mir nachzuweisen suchten, dass das alles nur eine Farce sei. Dessen ungeachtet, selbst auf der Konferenz, fernab meiner Heimatstadt, fern meinen Kreisen, gewöhnten sich alle schnell daran, dass SIE ja nicht gemeint waren - genossen den Lerneffekt ohne Schuldgefühl. Allerdings...“

 

“Ja, allerdings...”, unterbrach mich Sabine. “...allerdings musstest Du ja bis zum bitteren Ende den coolen Macker spielen. Nicht nur, dass Du in einer wildfremden Stadt die Einkaufspassagen durchkämmst, um boshafte... Nein, wage es nicht, alles zu verharmlosen! ...um boshafte Bemerkungen in alle Richtungen zu versprühen. Bevor ich es vergesse, ich soll Dich von dem Polizisten, der Dich hierhergebracht hat, grüßen. Du seist ja nicht der erste, der nach einer gepfefferten Beamtenbeleidigung mit einem dümmlichen Grinsen auf seinen Kopf zeigt - jedoch warst Du der Allererste ohne ein Bluetooth-Headset. Er fand sich anscheinend auch witzig, Dich, anstatt Dir eine Anzeige zu verpassen oder auf die Wache mitzunehmen, hier in einer Nervenheilanstalt wegen selbstgefährdenden Verhaltens abzuliefern.

 

Wie es auch sei, der Arzt sagte mir, diese Form des Realitätsverlustes könne sich auch nur am Bluetooth-Headset festmachen, es sei fraglich, ob Du wirklich nur Unfug getrieben hast. Immer mehr erkrankte Menschen nutzen die “Deckung” hinter einem solchen Headset. Er fragt sich, ob es nicht doch nötig sei, eine längere Untersuchung bei Dir vorzunehmen, um jede Erkrankung auszuschließen ...”

 

Ich muss sehr blass geworden sein, Sabine streichelte mir über das Ohr und sagte nur: “Komm.”