Hier: „Vertriebene Zeiten“
Eine Beschreibung der Werke des Werner Vombusch als Ehre zu betrachten, wäre ganz im Sinne besagten Autors. Ich habe es eher als eine Herausforderung empfunden. Aber hole ich erst mal jene ab, die Werner Vombusch nur dem Namen (und dem Ruf?) nach kennen.
Vombusch legt schon mit seinem literarischen Debüt ein Werk vor, in dem sich nach wenigen Zeilen die Frage stellt: Weiß der Autor wenigstens selbst, wo er hinwill? Oder besteht sein einziges Ziel darin, alles zu zerschlagen, was irgendwie nach Autorenwerkzeug aussieht, Stil, Form, Satzbau und all diese, nicht mal ungeschriebenen, Gesetze? Und wenn ja, konnte er es beim Zerschlagen nicht belassen, anstatt der literarischen Kunstfertigkeit höhnisch unter den Rock zu schauen, um dabei wie irre zu kichern? Der Titel „Vertriebene Zeiten“ hätte uns alle schon warnen sollen. Vombusch hatte nie vor, uns einen Zeitvertreib vorzulegen. Allerdings, zwar mutet es so an, als wolle er uns die Zeit austreiben, aber wenn man seine Kulissenschieberei ignoriert, offenbart sich ein wehmütiges Lächeln, mit dem Vombusch zusieht, wie wir alle uns mehr und mehr der Zeiten entledigen, um der Historie auszuweichen. Nach Vombusch ist die Historie jene große, allumfassende Erzählung, das Epos, die Märchen- und Sagenwelt, mit der wir uns dereinst die Welt erklärten. Und das in Echtzeit, sozusagen. Ob Mythos, Epos oder Sachkunde, Vombusch ignoriert nicht, er spiegelt.
Erzählung, Verlautbarung, Veröffentlichung – erst die Vernetzung führte zu dem Phänomen der „Vertriebenen Zeiten“. Vombusch ist sich der Gefahr, bestenfalls nicht ernst genommen, aber wahrscheinlich sich lächerlich zu machen, durchaus bewusst. Aber sollen wir Vombusch wirklich nicht folgen in seinen Ausführungen: „Das Netz führt zu einer Implosion der Historie wie wir sie bisher kannten. Während die Schlaglichtinformationen von Fernsehnachrichten durch eine „Entstauchung“ noch in ein dokumentarisches Format gebracht werden können, stellt uns das Netz vor die Feststellung: Während die Nachricht, dass in China ein Sack umgekippt ist, noch auf ihrer ersten globalen Ausbreitungsrunde unterwegs ist, darf man mit Sicherheit damit rechnen, dass Kommentare zu diesem Ereignis manchenorts eher erscheinen als die auslösende Nachricht, unabhängig von der Relevanz der Information.“
Doch nicht nur die Zeit, die wie ein zersplitterter Spiegel erscheint, ist Vombusch ein zutiefst empfundenes Ärgernis. Wenn zum Beispiel dasselbe Selfie über 8 Plattformen veröffentlicht wird, ist das nicht nur ein unnötiger Zeitaufwand der Autoren, sondern zugleich der Empfänger, die zwischen 3-5 Sekunden allein dafür brauchen, um pro Objekt die Einmaligkeit festzustellen.
Vombusch dabei zu begleiten, wie er seinen eigenen Text in jene diskontinuierliche A-Historizität versetzt, die er in unserem Gebaren der Netznutzung verortet, kann amüsieren, strengt aber auf jeden Fall an. Zuviel des Guten? Nein, Vombusch hat uns in die Hände gegeben, zu begreifen: Je weniger wir das Netz als ein Gemeingut betrachten und in persönlicher Verantwortung jedes Einzelnen von uns, desto schneller wird das Netz zum Turm von Babel, weil keiner mehr der anderen Geschichte versteht.
Ich jedenfalls danke Werner Vombusch für sein mutiges Vorgehen, die Sprachmittel der Werksidee anzupassen und nicht umgekehrt, wie es gang und gäbe ist.
Horst-Werner Willenberg - www.netzwesen.info - Bielefeld, 11.01.2022
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